Kurt Estermann . Komponist .

kammermusik vokal

 

 

Wie es war, wie es ist, wie es sein wird

nach einem Gedicht von Walter Schlorhaufer
(1996)

 

Mezzosopran, Violine

10:20

UA 15.10.1996 Pfarrkirche St. Nikolaus Innsbruck

Rundfunkmitschnitt ORF Tirol

 

 

 

Die Reduzierung auf zwei Klangkörper, Dialogisierung, Verknappung und der Minimalismus im musikalischen Material steht im Spiegel des Schlorhaufer-Textes. Ein Prolog, Durchführungen, Intermezzi, ein Epilog mit Coda bilden den formalen Aufbau. Der dunkleren Farbe des Mezzosoprans entspricht die bevorzugte Mittellage der Violine.

 

 

 

Walter Schlorhaufer
Wie es war, wie es ist, wie es sein wird

 

Im gelassenen Gehen, nicht in Gärten, nicht in Wäldern,

die im Grübeln singende Säge mit welligem Gemurmel.

Welk gestimmt zwischen Dur und Moll,

unterwegs in hohler Tonart.

Geschrieben den Brief, geschrieben mit rissigen Lippen

und weißen Wirbeln, den Brief, der nie ankommt.

 

Unter dem Windgatter des Föhns die schwarze Liebe der Dohlen.

Grüne Gedanken, grün wie unreif, grün wie Unkraut.

Grüne Gedanken an eine schwarze Liebe.

 

Dann der Fall. Fehlhörig, im falscher Tonart,

wie der gefallene Christ, der sicher ist,

daß er aufgehoben wird, wenn er die Wirkwaren

seiner Unliebe zusammenkehrt einmal im Jahr.

 

Noch ist nichts verloren, noch gibt es Schatten

Unter der Erde, noch gibt es ein Schlupfloch,

Rettung bei Regenwürmern und Schurbäumen.

 

Der geschlagene Tag, der neben mir hergeht,

Zäune mitnimmt wie Häuser, Plakate wie Kirchen.

Das Gehen, das nichts bestätigt, nichts zum Blühen

bringt, nichts heilt. Immer bleibt der Nagel

des Fingers am Webfehler einer Begegnung hängen.

 

Warte nicht auf Wunder, danke für sie und schreibe:

Eingesargt in den eigenen Leib, ein schmutziges

Rezitativ der Vergangenheit. Kein Platz für den

Schreiber, alles angefüllt mit dem Gerümpel mit dem

Müll der Erinnerung, angeschwemmt vom Wissen,

entstellt vom Vergessen. Wenig Gefühle, als sei es

früh am Morgen und nicht später Abend.

Wie bei den Müttern, wie bei den Vätern.

 

Und die Sonne geht auf und die Sonne geht unter wie immer.

Ob Erkennen, ob Verkennen,

alles landet im brennenden Dornbusch.